Ausblick 2023: Anleihen sind zurück
Vor dem Hintergrund der nachlassenden Inflation und zunehmenden Wachstumssorgen werfen Ariel Bezalel und Harry Richards einen Blick auf die Aussichten für die Anleihenmärkte.
Inzwischen signalisieren mehrere Frühindikatoren, dass sich das Inflationsumfeld verändert, obwohl das 2-Prozent-Ziel der Notenbanken noch längst nicht in greifbarer Nähe ist. In den USA hat das Geldmengenwachstum stark nachgegeben – ein derartiger Rückgang auf annualisierter 3-Monats-Basis wurde seit der Großen Depression nicht mehr verzeichnet.
Der US-Verbraucherpreisindex, der im Juni 2022 mit 9,1% den höchsten Stand seit vier Jahrzehnten erreichte, hat sich abgeschwächt, da die Rohstoff-, Lebensmittel- und Ölpreise seit ihrem Höchststand im Frühjahr 2022 gesunken sind. Die chinesischen Erzeugerpreise sind auf den tiefsten Stand seit zwei Jahren gesunken. Das dürfte sich auch positiv im US-Verbraucherpreisindex niederschlagen. Die Frage ist nicht mehr, ob sich die Inflation verlangsamen wird, sondern vielmehr, wie schnell sie nachgeben wird – und wo sie sich letztlich einpendeln wird.
Je nachdem, wie verschuldet eine Volkswirtschaft ist, dauert es in der Regel rund zwölf bis 24 Monate, bis die Wirtschaft eine Zinserhöhung oder -senkung verdaut hat. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass ein reibungsloser Übergang von einer hohen Inflation zu einer normaleren Inflation bei einem stabilen Wachstum äußerst unwahrscheinlich ist. Aufgrund der langen und variablen Wirkungsverzögerungen geldpolitischer Maßnahmen neigen die Zentralbanken unter diesen Bedingungen dazu, die Zügel zu stark zu straffen. Wir starten mit einer bereits sehr restriktiven Geldpolitik ins Jahr 2023. Ein Großteil der bisherigen Zinserhöhungen muss noch verdaut werden, und in vielen Märkten stehen weitere Zinsschritte an. Unseres Erachtens wird dies zu einem drastischen Wachstumsrückgang führen, der in den jüngsten Einkaufsmanagerindexdaten bereits in Ansätzen erkennbar ist2, und viele unserer Frühindikatoren signalisieren, dass sich die Situation bis ins Jahr 2023 hinein weiter verschlechtern wird.
Eine natürliche Folge der Rezession wird ein starker Rückgang der Inflation sein. Analysen zeigen, dass der US-Verbraucherpreisindex (CPI) in den letzten 100 Jahren in Rezessionsphasen um durchschnittlich 7% gesunken ist.
Die Wohnungspreise beeinflussen auch das Ausgabeverhalten und sind letztlich von großer Bedeutung für die Gesamtverfassung der Wirtschaft. Durch den Anstieg der Hypothekenzinsen hat die Erschwinglichkeit von Wohnraum insbesondere in den USA dramatisch abgenommen. In Großbritannien, Hongkong, Kanada, Neuseeland, Australien und Schweden sinken die Immobilienpreise. Auch der chinesische Immobilienmarkt macht eine schwierige Zeit durch, was sich natürlich auch auf das weltweite Wirtschaftswachstum auswirkt.
Schließlich sind die Wohnungsmärkte auch für die Inflation von Bedeutung. Wohnkosten machen rund ein Drittel des US-Verbraucherpreisindex aus. In den letzten Monaten hat die Wohnkostenkomponente mit dem parabolischen Anstieg der Immobilienpreise der letzten Jahre gleichgezogen. Zeitnähere Indikatoren wie die aktuellen Mietforderungen deuten bereits auf eine deutliche Verlangsamung hin. Anders ausgedrückt wird sich die Schwäche des Wohnungsmarktes künftig in einer geringeren Wohnkosteninflation niederschlagen.
Insgesamt dürfte das Wachstumsumfeld die Zentralbanken dazu veranlassen, eine Zinspause einzulegen und ihre geldpolitischen Maßnahmen des Jahres 2022 in der Folge teilweise zurückzunehmen – zum Beispiel durch die Einstellung der quantitativen Straffung (Verkauf von Anleihen), erste Zinssenkungen oder eine Kombination aus beidem. Wir halten es für wahrscheinlich, dass die US-Notenbank (Fed) die Zinserhöhungen in der ersten Jahreshälfte 2023 aussetzen und im weiteren Jahresverlauf zu einem Lockerungszyklus übergehen wird. In einem solchen Umfeld wären sehr hohe Erträge aus Anleiheninvestments denkbar.
In der Vergangenheit ist die Fed in der Regel erst nach einer vier- bis sechsmonatigen Zinspause dazu übergegangen, die Zinsen zu senken. Dieser Zeitraum könnte jedoch kürzer ausfallen, falls die Arbeitslosigkeit in die Höhe schießen oder es zu einer besonders starken Verschlechterung anderer Wirtschaftsindikatoren kommen sollte. Die Wahrung der Preisstabilität ist neben der „Vollbeschäftigung“ eines der wichtigsten wirtschaftlichen Ziele der Fed. Daher dürfte die Fed bei Bedarf Maßnahmen ergreifen, um eine rasche Verschlechterung am Arbeitsmarkt abzuwenden.
Die Finanzmärkte sind auch mit anderen Risiken konfrontiert. Der Russland-Ukraine-Konflikt ist noch nicht beendet, und die Unsicherheit ist groß. Wir halten uns mit konkreten Prognosen zur Entwicklung der Öl- oder Gaspreise zurück, da diese im Wesentlichen von unvorhersehbaren Faktoren wie dem Ende des Konflikts oder der Schwere des bevorstehenden Winters abhängen wird. Klar ist allerdings, dass Rohstoffe nicht mehr der größte Inflationstreiber sind, sodass hier mit einer gewissen disinflationären Wirkung gerechnet werden kann, wie wir sie bereits bei bestimmten Basismetallen gesehen haben.
2 Der Einkaufsmanagerindex basiert auf einer Umfrage unter leitenden Angestellten von Unternehmen zu wirtschaftlichen Trends wie Auftragseingängen und Vorratsbeständen.
Ausblick 2023: Erfolgsstrategien für eine neue Welt
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