Im Juli sind die Märkte in eine neue Phase eingetreten: Nach der Volatilität im ersten Quartal, die durch die aggressive Haltung der Fed und den Ukraine-Krieg ausgelöst wurde und im zweiten Quartal – insbesondere im Juni – aufgrund zunehmender Rezessionsängste nochmals zunahm, kam es im Sommer zu einer Erholung der Aktien- und Unternehmensanleihenmärkte. Warum? Grund war der Optimismus, dass schlechtere Konjunkturdaten die Zentralbanken dazu bringen würden, von ihrem aggressiven Straffungskurs abzurücken. Verstärkend wirkte dabei die sehr pessimistische Positionierung der Aktienanleger – ein klassischer „Short Squeeze“ in einem Bärenmarkt.

 

Unserer Ansicht nach spiegeln die Aktienbewegungen nicht die Realität wider. Erstens glauben wir nicht, dass die Fed eine Zinspause einlegen wird. Ihr Chef, Jerome Powell, dürfte den geplanten Straffungskurs in den kommenden Fed-Sitzungen konsequent fortsetzen. Die zukunftsgerichteten Indikatoren deuten zwar auf ein langsameres Wachstum hin – die Fed-Politik orientiert sich aber vor allem an rückwärtsgerichteten Indikatoren zu Inflation und Beschäftigung. Die Teuerung mag ihren Höhepunkt erreicht haben. Sie ist aber immer noch viel zu hoch, als dass eine baldige Rückkehr auf ihren Zielwert aus Sicht der Fed absehbar erscheinen dürfte. Mit 525.000 neuen Jobs sind in den USA im Juli weitaus mehr Stellen entstanden als erwartet. Darüber hinaus steht die Fed unter enormem politischen Druck, die Inflation vor den „Midterms“ – den in diesem Herbst anstehenden Zwischenwahlen in den USA – in den Griff zu bekommen.

 

Zweitens hat sich inzwischen zwar die Erwartung durchgesetzt, dass wir auf eine Rezession zusteuern (im Januar waren wir bei Jupiter mit dieser Erwartung noch relativ allein, da die meisten dies zu dem Zeitpunkt für ein sehr unwahrscheinliches Szenario hielten). Wir glauben aber nicht, dass den Investoren klar ist, wie heftig der bevorstehende Abschwung sein wird. Dass der Druck auf die Verbraucher hoch ist, ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs und des damit verbundenen, rasanten Anstiegs der Preise für Lebensmittel und Energie offensichtlich. Der Verlust an Kaufkraft wird sich aber noch weiter verschärfen. Die Verbraucher haben ihre Ersparnisse abgebaut und sich stärker verschuldet, um ihren Konsum zu finanzieren. Damit wird der finanzielle Spielraum enger. Im Winter werden die Energiepreise die privaten Haushalte noch stärker belasten. Der zuletzt leichte Rückgang der Öl- und Rohstoffpreise wird das nicht verhindern können.

 

Der US-Immobilienmarkt war schon immer ein Vorbote der Weltwirtschaft. Durch den Anstieg der Hypothekenzinsen, höhere Hauspreise und sinkende Realeinkommen ist Wohnraum in den USA so unerschwinglich geworden wie seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr. Auch bei den Daten vom Immobilienmarkt wendet sich das Bild und die Hausverkäufe gehen stark zurück. Aber auch andernorts zeigt die Immobilienwirtschaft deutliche Anzeichen von Schwäche, zum Beispiel in Kanada, Australien, Großbritannien, Schweden und Südkorea. Viele dieser Volkswirtschaften haben stark fremdfinanzierte Wohnungsmärkte, die entsprechend stärker auf steigende Zinsen reagieren. Die Auswirkungen auf die Immobilienwirtschaft machen sich erst mit der Zeit bemerkbar und werden sich deutlich im BIP niederschlagen. Die Immobilienwirtschaft trägt 20% zum US-BIP bei. 

 

Dass China eine Phase schwächeren Wachstums durchläuft, ist den Anlegern ebenfalls klar. Auch hier glauben wir aber, dass die Auswirkungen dieser Wachstumsverlangsamung noch nicht vollständig eingepreist worden sind. Es wird Jahre dauern, bis die Luft aus der chinesischen Immobilienblase entwichen ist, die Null-Covid-Politik hemmt das Wachstum, das Verbrauchervertrauen ist gering, und ein starker Rückgang der Ausgaben für langlebige Wirtschaftsgüter in den Industrieländern wird die chinesische Industrie treffen. Die chinesische Regierung sieht sich gefangen zwischen ihren hohen und zunehmend unerreichbar erscheinenden Wachstumszielen und ihrer mangelnden Bereitschaft, zu den schuldenfinanzierten Infrastrukturausgaben der Vergangenheit zurückzukehren. Das erschwert die staatliche Konjunkturförderung. Anders als in der Vergangenheit wird China den Westen dieses Mal nicht vor der Rezession retten können, sondern diese sogar noch verschlimmern. Tatsächlich könnte China sogar in einer Liquiditätsfalle stecken: Während die Banken vor Liquidität strotzen, zögern die Verbraucher, neue Kredite aufzunehmen. China könnte in eine „Bilanzrezession“ abrutschen, bei der die Wirtschaft ins Stocken gerät, weil der Privatsektor keine Schulden mehr macht, sondern vielmehr Schulden abbaut. Die Folge könnte eine längere Stagnationsphase sein.

 

Vor diesem Hintergrund haben sich viele Anleger der Hoffnung hingegeben, dass die US-Notenbank einlenken könnte. Wir halten das jedoch für unwahrscheinlich und glauben vielmehr, dass die Fed an ihrem Straffungskurs festhalten und den Abschwung somit noch verstärken wird. Der mit der Drosselung der Fed-Anleihenkäufe verbundene Liquiditätsverlust hat sich in der Vergangenheit erst mit seinem tatsächlichen Eintritt auf die Märkte ausgewirkt, wurde also in der Regel nicht vorab eingepreist. Im September und darüber hinaus ist zudem mit weiteren US-Zinserhöhungen zu rechnen.

 

Je länger sich die Zentralbanken ausschließlich dem Kampf gegen die Inflation verschreiben, desto massiver werden die Wachstumsauswirkungen – und die Rezession – sein. Dieser Ansatz spannt die Feder der Anleihenmärkte aufs Äußerste und wird zu einem besonders heftigen Zurückschnellen der Renditen führen, wenn die Kehrtwende erfolgt.

 

Daher bleiben wir auf kurze Sicht vorsichtig positioniert. Die Inflation lässt nach, aus Sicht der Fed aber nicht rasch genug, um eine Lockerung ihrer Geldpolitik zu erlauben. Die Anleihenmärkte spiegeln die Realität unserer Ansicht nach besser wider: mit der Antizipation von Fed-Zinserhöhungen am kurzen Ende und sinkenden Wachstumsraten und Zinsen am längeren Ende. Die Differenz zwischen den zwei- und zehnjährigen Zinsen in den USA ist aktuell so negativ wie zuletzt im Jahr 2000. Wir gehen davon aus, dass die Zinskurve noch inverser wird. Und wenn die Rezessionsängste an die Märkte zurückkehren, könnten die Anleihenrenditen noch deutlich weiter sinken.

 

Daher bleibt unser Ausblick für die Duration positiv, vor allem in den USA. Wir schätzen Staatsanleihen aus Australien und Südkorea, die stark auf eine Wachstumsverlangsamung in China reagieren und stark fremdfinanzierte Immobilienmärkte haben, die unter höheren Zinsen leiden. Was Unternehmensanleihen angeht, halten wir Titel von Unternehmen in wenig rezessionsanfälligen Sektoren sowie von Unternehmen in Sondersituationen, die auch schwierigere Zeiten überstehen können, für attraktiv.

 

Auch aus Anlegersicht gibt es nicht nur schlechte Nachrichten: So dürfte die Inflation unserer Ansicht nach weiter nachlassen, weil eine Rezession immer noch das beste Heilmittel für eine hohe Teuerung ist. Die Rohstoffpreise helfen hier bereits, und im weiteren Jahresverlauf 2022 werden auch die Güterpreise längst nicht mehr so stark steigen wie zuletzt, wenn die Nachfrage vor dem Hintergrund der überhöhten Lagerbestände nachlässt. Mit der Eintrübung am Immobilienmarkt werden auch die Immobilienpreise – die Inflationskomponente, die sich in der Regel am langsamsten ändert – zum Jahreswechsel hin sinken.

 

Angesichts der sich eintrübenden Wachstumsaussichten dürften die nächsten Monate holprig werden. Wenn die Inflation weiter nachlässt, werden die Zentralbanken ihre Geldpolitik aber letztlich deutlich lockern. Damit stünden wir vor der Rückkehr zu einer erneuten ausgedehnten Niedrigzinsphase. Das wäre ein sehr günstiges Umfeld für Anleihenanleger, mit sinkenden Renditen, gut gestützten Kreditmärkten und einer erneut guten Diversifikation von Risikoanlagen durch die Duration. Wir haben es mit einer einmaligen Einstiegschance für Anleihenanleger zu tun. An den Kreditmärkten ist jedoch Vorsicht geraten: Hier müssen sich Anleger sicher sein, dass die Unternehmen, die sie in ihrem Portfolio halten, eine Rezession überstehen können.

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