Schwellenländeranleihen: Peak Fear?
Alejandro Arevalo und das Emerging Markets Debt Team von Jupiter meinen, dass die Stimmung der Anleger gegenüber Schwellenländeranleihen schnell drehen könnte, wenn der politische Gegenwind im weiteren Verlauf dieses Jahres nachlässt.
Die Märkte haben immer wieder gezeigt, dass der beste Zeitpunkt zum Kaufen genau dann ist, wenn die schlechten Nachrichten nicht mehr schlechter werden können. Nicht umsonst lautet eine alte Börsenweisheit: „Kaufe, wenn das Blut in den Straßen fließt!“ – ein Rat, der heute extrem klingen mag, aber aus der Zeit der Napoleonischen Kriege stammt, als das Bild vermutlich besser gepasst hat.
Wir haben es zuletzt mit einer schier erdrückenden Flut an schlechten Nachrichten über die Emerging Markets (EM) zu tun gehabt. Russland und die Ukraine, Chinas Immobilien-, Gaming- und Tech-Sektoren, China und Taiwan, Wahlen in Lateinamerika, die Türkei, Staatsstreiche in Afrika. Die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise haben die aufstrebenden Märkte härter getroffen als andere Märkte. In der Folge haben diese Länder ihre Geldpolitik gestrafft (die Zinserhöhungen der letzten neun Monate summieren sich auf 3.770 Basispunkte). Traditionell sind volatile US-Zinsen und ein starker US-Dollar Belastungsfaktoren für die Schwellenmärkte. Wird unser langjähriges Thema der EM-Resilienz auf die Probe gestellt? Unserer Ansicht nach hat der Markt diese Probleme inzwischen eingepreist – im Vergleich zu den entwickelten Märkten waren die EM seit mindestens fünf Jahren nicht mehr so günstig bepreist. Damit könnte sich Anlegern eine Kaufgelegenheit bieten, wie sie nur alle paar Jahre vorkommt.
Wir halten Abstand vom „Marktrauschen“ und investieren viel Zeit in eigene Fundamentalanalysen zu Unternehmen und Ländern weltweit. Wir sehen eine Diskrepanz zwischen den schlechten Makronachrichten und der fundamentalen Stärke der von uns analysierten Emittenten. Im Folgenden gibt unser Team regionaler Analysten Einblicke in einige seiner Bottom-up-Einschätzungen.
Asien
Xuchen Zhang
„Die CEOs und CFOs geben ihr Bestes, da der Immobiliensektor vor einem bedeutenden Konsolidierungsprozess steht, aus dem nur die widerstandsfähigsten Unternehmen erfolgreich hervorgehen werden“, sagt Xuchen Zhang, Kreditanalyst, der gerade von einer sechswöchigen Reise mit vielen Unternehmensbesuchen in China zurückgekehrt ist. „Die Liquiditätsprobleme vieler Immobilienentwickler sind auf die schärfere Regulierung und restriktivere Kreditvergabe zurückzuführen. Jetzt gilt es durchzuhalten, bis sich das regulatorische Umfeld verbessert. Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen, denen das gelingt, wird am Ende gut dastehen. Deshalb bemühen sich aktuell einige Unternehmen um den Verkauf von Immobilienportfolios oder Aktienplatzierungen, um sich genügend Barmittel zur Bedienung ihrer kurzfristigen Verbindlichkeiten zu beschaffen. Für Anleger, die wissen, worauf zu achten ist, wird es im weiteren Jahresverlauf 2022 gute Gelegenheiten geben, gut aufgestellte Unternehmen zu hohen Bewertungsabschlägen zu erwerben.“ Xuchen findet auch an anderen asiatischen Märkten interessante Anlagegelegenheiten, insbesondere in Indien und Indonesien, wo die Geldpolitik immer noch relativ expansiv ist und die Probleme des chinesischen Immobiliensektors keine Auswirkungen auf die fundamentale Stärke der Unternehmen haben.
LatAm
Alejandro di Bernardo
Während Asien die Region war, die EM-Anleihen im Jahr 2021 nach unten zog, hielt sich Lateinamerika dank der hohen Bedeutung des US-Konsums, des Energiesektors und der Proteinproduktion für die Region gut. „Durch die jüngste Volatilität sind einige unserer Lieblingstitel inzwischen viel erschwinglicher“, sagt Alejandro di Bernardo, Kreditanalyst. „Zu den wichtigsten Werttreibern im Jahr 2022 könnten vor allem starke Unternehmen mit soliden Bilanzen gehören, die kurzfristiger Volatilität in Märkten wie Chile oder Costa Rica standhalten können, wo die jüngste politische Instabilität nicht zu bedrohlich erscheint.“ Mexiko bleibt der in seinem Portfolio am stärksten übergewichtete Markt: „Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber wenn man bedenkt, dass Amlo durch das politische System gelähmt ist, sieht Mexiko politisch tatsächlich stabiler aus als andere Länder in der Region.“
CEMEA
Reza Karim
Auf Ebene der Weltpolitik ist die aktuell größte Sorge, dass ein russischer Einmarsch in der Ukraine einen größeren Konflikt auslösen könnte. „Mein Basisszenario ist, dass Russland keinen Krieg beginnen wird, sondern die Situation ausnutzen wird, um Zugeständnisse zu erzwingen“, sagt Fondsmanager Reza Karim. „Angesichts der Tatsache, dass Europa mit Covid und politischen Fragen beschäftigt und im tiefsten Winter von russischen Energielieferungen abhängig ist, bot sich eine Gelegenheit, die sich Putin kaum entgehen lassen konnte. Ein Krieg hätte jedoch schwerwiegende Konsequenzen für Russland und würde China im Umfeld der Olympischen Winterspiele in Peking vermutlich ernsthaft verärgern.” Das Team hat sein Engagement in der Region umsichtig gesteuert und das Russland-Exposure mithilfe von Credit Default Swaps abgesichert. Gleichzeitig betont Reza Karim, der stets auf der Suche nach Gelegenheiten zum Zukauf guter Titel zu günstigeren Konditionen ist, dass einige seiner „Lieblingsunternehmen in der Region erstmals seit Jahren auf einem attraktiv Niveau“ notieren. Das andere schwarze Schaf in Europa ist die Türkei, wo Präsident Erdoğan trotz hoher Inflation auf einer expansiveren Geldpolitik besteht. Der türkische Markt wird vom Team weiter untergewichtet.
Dank der anhaltend starken Performance der Energiewerte haben die Märkte im Nahen/Mittleren Osten zuletzt überdurchschnittlich abgeschnitten. Dennoch hat das Team die Volatilität genutzt, um höherwertige Titel aus Bahrain und Oman zuzukaufen. „Man muss Preisbewegungen zu seinem Vorteil nutzen“, sagt Reza Karim. Das Team ist in Afrika weiterhin übergewichtet und hält ausgewählte Länder dank verbesserter Bilanzen und relativer Stabilität für attraktiv. Reza Karim glaubt nicht, dass der jüngste Putsch in Burkina Faso die Region destabilisieren wird.
Herausragende Chance
Wir argumentieren seit vielen Jahren, dass viele Anleger die Kreditmärkte der Schwellenländer falsch einschätzen: Sie unterschätzen ihre Vielfalt und überschätzen ihre Zins- und Dollarsensitivität. Der Nettoverschuldungsgrad der EM-Emittenten hat sich in den letzten zwei Jahren um 25% verringert. Die Abhängigkeit von Auslandskrediten ist drastisch zurückgegangen – fast 90% der Staatsanleihen der Schwellenländer lauten heute auf lokale Währungen, während es vor 20 Jahren erst 40% waren. Obwohl sie hinter den entwickelten Märkten zurückgeblieben ist, hat sich die Anlageklasse auch in der schwierigen jüngsten Phase in absoluten Zahlen gut gehalten – trotz Covid-Krise (die die Schwellenländer stärker getroffen hat als die Industrieländer) und regionaler Instabilität.
Unserer Ansicht nach sind die schlechten Nachrichten zu einem guten Teil eingepreist. Tatsächlich stehen die Chancen gut, dass sich die Nachrichtenlage verbessert, und die Anleihenmärkte der EM dürften in nächster Zeit stärker auf eine positive Überraschung reagieren. Wir gehen davon aus, dass sich die regionalen Spannungen in Europa im Laufe dieses Jahres abbauen werden. Im Vorfeld des Parteikongresses im Herbst dürfte China seine Geldpolitik weiter lockern. Auch bei den US-Zinsen ist einiges passiert: Die Märkte preisen inzwischen allein für die nächsten zwölf Monate fünf Zinserhöhungen ein. Wir glauben, dass der Druck auf die Zentralbanken, die Geldpolitik zu straffen, nachlassen wird, wenn der Inflationsdruck ab dem zweiten Quartal zurückgeht und sich das Wachstum abschwächt.
ESG ist ein weiteres chancenreiches Thema in den EM, die in dieser Hinsicht zunehmend zu den Industrieländern aufschließen. Die Unternehmen und Staaten sind viel eher bereit, zuzuhören und auf Verbesserungen hinzuarbeiten, die wir als Investoren in hohem Maße beeinflussen können. Dementsprechend bemüht sich das Team auch intensiv um einen konstruktiv-kritischen Dialog mit den Emittenten zu Nachhaltigkeitsfragen.
Unser Team spezialisierter Kreditanalysten findet immer noch viele EM-Emittenten, die es für fundamental attraktiv hält, was im Widerspruch zum negativen Marktsentiment steht. Wenn der politische Gegenwind im weiteren Jahresverlauf, wie von uns erwartet, nachlässt, dürfte auch die Anlegerstimmung schnell drehen. Gemessen an ihrer relativen Bewertung erscheinen die EM aktuell sehr attraktiv. Für Anleger, die in der Lage sind, Gewinner zu identifizieren und Verlierer zu meiden, bietet sich unserer Ansicht nach eine große Chance für ein stärkeres Engagement in den EM.
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